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In langem Verfahren werden vier Gutachten erstelltWegen 31,32 Euro: Mitglied wartet fünf Jahre auf Entscheidung

Bisher hat sich Adam Stein zu seinen Bezügen vom Jobcenter etwas als selbstständiger Scherenschleifer dazuverdient. Doch das fällt ihm aufgrund einer Vielzahl von Erkrankungen – unter anderem Arthrose in beiden Händen und Beinen – zunehmend schwerer. Deshalb rät das Jobcenter dem Holzmindener 2018 einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente zu stellen und verweist ihn an den SoVD. Im Laufe des Verfahrens, das sich über fünf Jahre hinzieht, werden vier Gutachten erstellt – bei einer erwarteten Erwerbsminderungsrente von 31,32 Euro.

Wegen verschiedener, zum Teil sehr schmerzhafter Erkrankungen, hat Adam Stein zunehmend Schwierigkeiten als Scherenschleifer zu arbeiten – ein Beruf, mit dem sich der heute 65-Jährige neben seinen Hartz-IV-Bezügen (heute Bürgergeld) bisher etwas dazuverdient hat. Auf Anraten des Jobcenters wendet Stein sich 2018 an den SoVD in Holzminden und stellt einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente. Zu den vorliegenden Arztberichten holt die Deutsche Rentenversicherung (DRV) daraufhin ein zusätzliches Gutachten ein. Dieses bestätigt zwar, dass das SoVD-Mitglied krankheitsbedingt im Arbeitsalltag eingeschränkt ist und bestimmte Tätigkeiten, wie das Heben und Tragen schwerer Lasten, nicht mehr ausüben kann, sieht ihn aber trotzdem in der Lage, beruflich tätig zu sein. Gestützt auf dieses Gutachten lehnt die DRV den Antrag auf Erwerbsminderungsrente mit der Begründung ab, dass Stein die medizinischen Voraussetzungen dafür nicht erfülle und in der Lage sei, mindestens sechs Stunden am Tag zu arbeiten. Gegen diesen Bescheid legt der SoVD Widerspruch ein. „Bei der Begutachtung wurden überhaupt nicht alle meine Beeinträchtigungen berücksichtigt, die mich aber zum Teil sehr bei der Arbeit einschränken“, so Stein.

Nachdem auch ein weiterer Gutachter zu dem Schluss kommt, dass das SoVD-Mitglied bei leichter bis mittelschwerer Belastung weiterhin arbeitsfähig ist, lehnt die DRV 2020 auch den Widerspruch ab. „Und das, obwohl ich nach nur 15 Minuten Begutachtung total erschöpft war“, erinnert sich Stein. Deshalb geht der Holzmindener in die nächste Instanz und klagt vor dem Sozialgericht (SG) Hildesheim.

Nach Ablehnung seines Widerspruchs klagt Adam Stein vor dem Sozialgericht Hildesheim

Im darauffolgenden Klageverfahren muss sich das SoVD-Mitglied erneut begutachten lassen – und zwar gleich zweimal. Zu einem Urteil des SG Hildesheim kommt es deshalb erst im Herbst 2023. Da die beiden Gutachter aber ähnlich argumentieren wie die zuvor erstellten Gutachten, weist das SG Hildesheim die Klage ab. Nach vier Gutachten und fünf Jahren Wartezeit eine Enttäuschung für Adam Stein. „Diese Entscheidung kann ich nicht nachvollziehen. Ich habe schließlich nicht nur zum Spaß eine Erwerbsminderungsrente beantragt. Meine Erkrankungen bedeuten für mich Schmerzen in Händen und Füßen, den Schultern, im Rücken und in der Hüfte. Außerdem habe ich nicht umsonst mittlerweile einen Grad der Behinderung von 70“, kritisiert Stein.

Der SoVD kritisiert das Jobcenter und die Deutsche Rentenversicherung

„Es liegt nahe, dass das Jobcenter Kosten sparen wollte. Mit der Bewilligung einer Erwerbsminderungsrente hätte es keine Leistungen mehr an Herrn Stein zahlen müssen“, vermutet Frank Rethmeier, Leiter des Sachgebiets Sozialrecht des SoVD-Landesverbands Niedersachsen. „Dass auch die Deutsche Rentenversicherung bei einer erwarteten Erwerbsminderungsrente von 31,32 Euro derartig Probleme macht, ist absolut unverständlich. Aus unserer Sicht wäre eine Zahlung aufgrund der Vielzahl und Schwere der Erkrankungen von Herrn Stein sowie der daraus resultierenden Leistungseinschränkungen definitiv angebracht. Noch dazu hat sich die Entscheidung am Ende fünf Jahre hingezogen. Allein das Klageverfahren wurde erst nach über drei Jahren beendet. Das darf so nicht sein“, bemängelt Rethmeier weiter. Leider ist die Situation von Adam Stein kein Einzelfall. Laut Rethmeier erlebe es der SoVD immer wieder, dass Verfahren zu einer Erwerbsminderungsrente unnötig hinausgezögert würden. „Das ist für Betroffene, zusätzlich zu ihren bereits vorhandenen Beschwerden, oftmals ungemein belastend. Daher muss sich hier dringend einiges ändern, um eine Beschleunigung zu bewirken. Die Deutsche Rentenversicherung müsste beispielsweise mehr Ärzte*Ärztinnen anstellen, damit Versicherte schneller und effektiver begutachtet werden können“, mahnt der Jurist. Außerdem wünsche Rethmeier sich insgesamt deutlich mehr Transparenz und Aufklärung seitens der Rentenversicherungsträger.